Für Selbstständige und Freiberufler, deren Geschäftsbetrieb durch Altverbindlichkeiten oder aber durch Verbindlichkeiten aus privatem Bereich belastet wird, kann die Durchführung eines Insolvenzverfahrens mit anschließendem Restschuldbefreiungsverfahren eine Chance darstellen, das Geschäft in Eigenregie zu sanieren. Hintergrund sind zwei Vorschriften in der Insolvenzordnung, nämlich § 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie § 295 Abs. 2 InsO. Im Gegenzug für die faktische Befreiung von den Altverbindlichkeiten müssen mindestens jährlich Zahlungen an den Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder geleistet werden und Vermögenswerte, insbesondere Warenvorräte sowie Forderungsbestand, gehen verloren.

Stellt ein Selbständiger einen Eigenantrag auf Durchführung des Insolvenzverfahrens nebst Restschuldbefreiungsantrag und kommt es daraufhin zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dann ist sowohl das private als auch das geschäftliche Vermögen des Selbständigen von dem Insolvenzbeschlag erfasst und gehört zur Insolvenzmasse, die durch den Insolvenzverwalter verwertet wird. Der Insolvenzverwalter hat auch ein Zugriffsrecht auf den Neuerwerb des Unternehmens, also auf die während der Fortführung des Gewerbebetriebes in dem Insolvenzverfahren erwirtschafteten Einnahmen (vgl. § 35 Abs. 1, 2. Variante InsO). Nun ist die Fortführung eines Gewerbebetriebes für einen Insolvenzverwalter immer mit dem Risiko behaftet, dass die noch vorhandenen Vermögenswerte des Schuldners durch die laufenden Kosten der selbständigen Tätigkeit aufgezehrt werden. Deshalb hat der Gesetzgeber bereits im Juli 2007 zur Verhinderung einer Gefährdung der Masse die Möglichkeit für den Insolvenzverwalter geschaffen, selbständige Tätigkeiten von Insolvenzschuldnern aus der Insolvenzmasse freizugeben. Gleichzeitig war es erklärtes Ziel des Gesetzgebers, die Selbständigkeit von Insolvenzschuldnern zu fördern. Seitdem machen Insolvenzverwalter von der Möglichkeit der Freigabe in der ganz überwiegenden Zahl der Einzelunternehmer-Insolvenzen Gebrauch. Durch diese Freigabeerklärung wird der Schuldner mit seinem Gewerbebetrieb aus dem Insolvenzbeschlag entlassen und bekommt das Kommando bei der Sanierung seines Betriebes von dem Insolvenzverwalter zurückübertragen.

Freigabe des Geschäftsbetriebs: Schuldner erhält Kommando in seinem Betrieb zurück
Von der Freigabe erfasst ist sämtlicher Neuerwerb, also alle Einnahmen, die der Schuldner nach der Freigabe aus seiner selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet. Ebenfalls unterliegen dem freien Zugriff sämtliche Gegenstände, die nach den Regeln des § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zur Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit erforderlich sind. Hierzu zählt jedenfalls die notwendige Betriebs- und Geschäftsausstattung, regelmäßig jedoch nicht der noch vorhandenen Warenvorrat. In der Regel ist es allerdings möglich, sich hinsichtlich der Warenvorräte mit dem Insolvenzverwalter auf einen günstigen Erwerb aus der Insolvenzmasse zu einigen. Offene Forderungen gegen Kunden, die bereits vor der Freigabe bestanden haben, verbleiben allerdings als Vermögenswerte bei dem Insolvenzverwalter, ebenso wie weitere Sachen und Rechte, die nicht zwingend für die Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit erforderlich sind. Für den selbständigen Schuldner ist es regelmäßig aber zu verkraften, dass sein Bestand an Altforderungen und sonstigen nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerten bei dem Insolvenzverwalter verbleibt, nachdem dieser das Gewerbe aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Denn zeitgleich verliert der Schuldner faktisch sofort auch sämtliche bestehenden Schulden aus privatem oder geschäftlichem Bereich. Juristisch bleiben die gegen den Schuldner gerichteten Forderungen zwar zunächst bestehen; sie dürfen durch die Gläubiger aber nur nach den Regeln der Insolvenzordnung (Anmeldung zur Insolvenztabelle, §§ 87, 174 InsO) geltend gemacht werden. Zusätzlich wird das von der Freigabe erfasste Betriebsvermögen durch das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO sowie durch das in der Restschuldbefreiungsphase geltende Vollstreckungsverbot des § 294
Abs. 1 InsO vor zwangsweisen Zugriffen der Altgläubiger geschützt.

Kehrseite der Freigabe: Pflicht zu Zahlungen auf Grundlage fiktiven Einkommens
Unmittelbare Folge der Freigabe des Geschäftsbetriebes ist jedoch die Pflicht des selbständigen Schuldners, seine Gläubiger durch Zahlungen an den Insolvenzverwalter bzw. den Treuhänder so zu stellen, als wäre er ein angemessenes abhängiges Beschäftigungsverhältnis eingegangen. Entgegen weit verbreiteter Meinung gilt diese Regel nicht erst in der Restschuldbefreiungsphase, sondern bereits im eröffneten Insolvenzverfahren nach einer Freigabe des Geschäftsbetriebes des Schuldners (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 295 Abs. 2 InsO entsprechend). Bedeutsam für den Schuldner ist die Frage, wie die an den Insolvenzverwalter oder Treuhänder zu leistenden Zahlungen tatsächlich zu bemessen sind. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Schuldner die Höhe der Zahlungen gleichsam auf eigenes Risiko selbst festlegen kann. Zur Bestimmung der Höhe der monatlichen Zahlungen des Schuldners im freigegeben Betrieb – egal ob im Insolvenzverfahren oder in der Restschuldbefreiungsphase – ist also weder der Insolvenzverwalter noch irgendein Gläubiger befugt. Die Festlegung der Zahlungen obliegt vielmehr dem Schuldner selbst.

Schuldner legt fest, was er an den Insolvenzverwalter zahlt
Dabei ist Maßstab das, was er aufgrund seiner persönlichen Lebensumstände (gesundheitlicher Zustand, Zahl der Unterhaltspflichten, ggfs. Kindererziehung, Berufserfahrung, berufliche Qualifikation etc.) für ein monatliches Netto-Erwerbseinkommen auf dem Arbeitsmarkt erzielen könnte. Dieses zu erwartende Einkommen ist von dem Schuldner festzulegen und so dann der monatlich pfändbare Betrag nach der aktuellen Pfändungstabelle zu ermitteln. Es ergibt sich auf diese Weise der Betrag, den der Schuldner monatlich aus dem Überschuss seiner selbständigen Tätigkeit an den Insolvenzverwalter bzw. dem Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren abzuführen hat. Für den Schuldner bietet diese Regelung erhebliche Chancen, aber auch Risiken. Einerseits kann er – wenn die Geschäfte gut laufen – erhebliche Gewinne mit seiner selbständigen Tätigkeit im Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahren erzielen, ohne dass die Höhe dieser Gewinne Einfluss auf die von ihm abzuführenden Beträge hätte. Auf diese Weise kann der Schuldner sich ggf. sogar ein finanzielles Polster aufbauen, mit dem er dann einen Gläubigervergleich (Einstellung des Verfahrens mit Zustimmung der Gläubiger gem. § 213 InsO durch Teilzahlung) erreichen kann, also einen vorzeitigen Abschluss der Insolvenz. Andererseits besteht für den Schuldner das Risiko; dass die Gewinne, die er aus selbständiger Tätigkeit erzielt, nicht ausreichen, um die Zahlungen an den Insolvenzverwalter bzw. den Treuhänder erbringen zu können. Macht er gar Verluste, dann türmt sich der auf Grundlage eines fiktiven Einkommens aus abhängiger Beschäftigung nach § 295 Abs. 2 InsO monatlich zu berechnende Betrag auf und es besteht die Gefahr, dass nicht vollständig bezahlt werden kann. Ein derartiges Verhalten kann zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen.

§ 213 InsO Vorzeitige Einstellung des Verfahrens bei Gläubigervergleich
Bisher herrschte Unklarheit, wann die auf Grundlage des fiktiven Einkommens durch den Schuldner selbst ermittelten pfändbaren Beträge an den Insolvenzverwalter oder an den Treuhänder abzuführen sind. Etwas Licht ins Dunkel hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.07.2012 (XI ZB 188/09) gebracht. Der Bundesgerichtshof hat hier entschieden, dass der selbständig tätige Schuldner, dem die Restschuldbefreiung angekündigt wurde, in regelmäßigen Abständen, zumindest aber jährlich, Zahlungen an den Treuhänder zu erbringen hat. Da § 295 Abs. 2 InsO keine festen Zahlungstermine vorsieht, ist diese Entscheidung zu begrüßen, weil sie
Klarheit schafft. Der selbständig tätige Schuldner kann sich also darauf einrichten, dass er nunmehr zumindest jährlich die monatlich anfallenden pfändbaren Beträge an den Treuhänder auskehren muss. Da der § 295 Abs. 2 InsO auch bereits im freigegebenen Betrieb Anwendung findet, kann wohl erwartet werden, dass die Rechtsprechung die spätestens jährlich vorzunehmende Zahlung auch im noch laufenden Insolvenzverfahren von dem Schuldner erwartet.

Fazit: Chance auf Fortsetzung des Betriebs ohne Altlasten
Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit eines Schuldners im Insolvenzverfahren bietet eine Chance zur Fortsetzung der Selbständigkeit ohne Belastung des Geschäftsbetriebs durch die vorhandenen privaten oder geschäftlichen Altverbindlichkeiten. Im Falle der Freigabe wird der Schuldner selbst – nicht der Insolvenzverwalter – zum Sanierer seines Unternehmens. Unabhängig
davon, welche Gewinne der Schuldner mit seiner selbständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren oder im Restschuldbefreiungsverfahren erzielt, ist er lediglich zur Abführung derjenigen Beträge verpflichtet, die sich auf Grundlage eines fiktiv zu berechnenden Einkommens aus abhängiger Beschäftigung nach der Pfändungstabelle ergeben würden. Die Zahlungen an den Treuhänder –
vermutlich auch an den Insolvenzverwalter – muss der Schuldner jährlich leisten. Frühere – beispielsweise monatliche – Zahlungen an den Treuhänder sind unschädlich. Kann der Schuldner absehen, dass die Gewinne aus der selbständigen Tätigkeit nicht ausreichen werden, um die sich auf Grundlage von § 295 Abs. 2 InsO errechneten pfändbaren Beträge abzuführen, so muss er in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wechseln.

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